4 Wochen, 10 Länder, 1 Ziel: Europa entdecken mit dem Wohnmobil

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Lesezeit: 17 Minuten

Der Moment, bevor alles beginnt

Es war Anfang September, als wir beschlossen: Jetzt oder nie. Kein Zoom-Call, keine Termine, kein Alltag. Stattdessen: Fenster runter, Musik an, losfahren. Der Sommer verabschiedete sich langsam, aber in uns wuchs der Wunsch, nochmal aufzubrechen – nicht weit weg, sondern mitten hinein ins Herz Europas. Kein Urlaub im klassischen Sinn. Eher eine kleine Flucht. Oder eine Rückkehr zu etwas, das wir beide verloren glaubten: Zeit. Raum. Ungeplante Momente.

Wir – das sind Simon und ich, Marc. Zwei alte Schulfreunde, mittlerweile Anfang 30, beide mit Job, Verpflichtungen und einem Kalender, der uns selten Zeit für sowas liess. Simon ist Grafiker, oft in Projekten eingespannt, ich arbeite im Marketing. Wir reden oft davon, wie schnell alles geworden ist. Wie selten man sich einfach treiben lässt. Aber irgendwie hatten wir diesen einen Slot – vier Wochen, keine Ausreden.

Das Wohnmobil hatten wir online bei Wohnmobil Ferien gebucht, wie schon zweimal zuvor. Die Auswahl ist einfach, die Fahrzeuge top ausgestattet – und das Beste: Wir konnten es direkt in Gams abholen. Dort standen sie bereit, die grossen weissen Träume auf Rädern. Unseres wartete bereits – innen frisch gereinigt, aussen glänzend, mit allem drin, was man für vier Wochen auf Achse braucht. Die Übergabe ging schnell, unkompliziert. Schlüssel, kurze Einführung, los.

Zwei Reisepässe, eine Kamera, eine Route quer durch Europa. Zehn Länder in 28 Tagen. Möglich? Wir wollten es wissen.

Wir planten bewusst nicht jeden Tag durch. Nur Eckpunkte: Österreich, Italien, Slowenien, Kroatien, Ungarn, Slowakei, Tschechien, Deutschland, Frankreich und zurück in die Schweiz. Wir wollten Freiheit. Flexibilität. Das Gefühl, jeden Tag neu zu entscheiden, wohin die Reise geht. Die Route stand in groben Zügen, aber nicht starr. Wir liessen Platz für Zufälle, Umwege, Empfehlungen am Wegesrand. Für all das, was das Reisen im Wohnmobil ausmacht.

Am Vorabend der Abfahrt war alles gepackt: Vorräte, Campingstühle, Kartenmaterial, Werkzeug – und viel zu viel Kaffee. Wir sassen im Garten, tranken ein letztes Glas Wein unter freiem Himmel und schauten auf die Landkarte, die zwischen uns lag. Überall kleine Markierungen, Notizen, Pfeile. Irgendwann faltete Simon sie zusammen. „Wir werden eh anders fahren“, sagte er und grinste.

In dieser Nacht schlief ich schlecht. Nicht wegen Sorge, sondern vor Aufregung. Die Gedanken rasten – wie als Kind vor dem ersten Schultag oder vor einer grossen Reise mit den Eltern. Es war dieses unbestimmte Kribbeln, das man nur selten spürt: Wenn etwas Grosses bevorsteht, aber man noch nicht weiss, was es mit einem macht.

Und dann kam der Morgen. 06:48 Uhr. Draussen war es noch kühl. Ich machte Kaffee, hörte das erste Mal das Zischen der Espressokanne auf dem kleinen Herd. Kurz darauf bog Simon auf den Hof ein – seine Tasche über der Schulter, Sonnenbrille auf der Stirn. Keine grossen Worte. Nur ein Nicken.

Wir verstauten das letzte Gepäck, checkten den Reifendruck, schlossen die Tür. Und dann…
Motor an. Fenster runter. Musik rein. Die Strasse vor uns – leer. Offen. Voller Möglichkeiten.

Europa, wir kommen.

Woche 1 – Alpen, Aperitivo und ein unerwartetes Wiedersehen
Der erste Morgen war frisch. Nebel hing über dem Rheintal, als wir das Wohnmobil beluden: Wanderschuhe, Pasta-Vorrat, ein paar Shirts zu viel. Noch war alles geordnet – und gleichzeitig fühlte sich jede Bewegung an wie ein kleiner Ausbruch aus dem Alltag. Die Strassen waren leer, als wir losfuhren, und das Radio spielte „Here Comes the Sun“, fast wie bestellt. Die Landschaft zog langsam an uns vorbei, und obwohl wir die Strecke kannten, fühlte sich alles neu an.

Die Fahrt über die österreichische Grenze war unser erstes kleines Highlight. Die Grenze selbst – kaum mehr als ein Schild – bedeutete für uns dennoch etwas: ein sichtbares Zeichen, dass wir unterwegs waren. Die Berge wurden steiler, die Wiesen saftiger, und mit jedem Kilometer schien auch der Alltag weiter hinter uns zu liegen. Kurz nach dem Arlbergpass legten wir den ersten Stopp ein – ein kleiner Parkplatz bei einem Bergsee, glasklar, türkis, eingerahmt von Tannen. Kein offizieller Stellplatz, aber erlaubt. Wir standen alleine dort. Kaffee in der Hand, barfuss im Gras, und das erste Mal dieses leise Gefühl: Wir sind wirklich unterwegs. Ein Gefühl zwischen Aufbruch und Ankommen.

In Innsbruck übernachteten wir auf einem kleinen Campingplatz am Stadtrand. Die Abendstimmung war golden, die Nordkette glühte im letzten Licht. Wir fuhren mit den Rädern in die Altstadt, bummelten durch die Gassen, assen Schnitzel in einem urigen Wirtshaus und tranken unser erstes Bier – oder zwei – auf dem Marktplatz, während die Strassenmusiker vor der Annasäule spielten. Später kamen wir mit einem älteren Paar aus Hamburg ins Gespräch. Sie waren auf dem Rückweg von Kroatien. „Wenn ihr nur einen Ort mitnehmt, dann Bled“, sagten sie. Das notierten wir. Es war das erste Mal, dass unsere geplante Route einen neuen, spontanen Ankerpunkt bekam.

Am nächsten Morgen wurden wir von Kuhglocken geweckt – kein Scherz. Wir frühstückten unter freiem Himmel, während nebendran ein Bauer mit seinem Sohn Heuballen verlud. Es war einer dieser Momente, in denen man merkt, wie weit man schon nach nur einem Tag vom Alltag entfernt ist. Die Sonne kam über die Gipfel, wir tranken den zweiten Kaffee langsamer, genossen das einfache Gefühl, dass gerade alles stimmte.

Italien empfing uns mit 28 Grad, Olivenhainen und einem Hauch von Dolce Vita. Lazise, unser Ziel am Gardasee, war wie ein Postkartengruss aus einem anderen Leben. Der Campingplatz lag direkt am Wasser – ein einfacher Stellplatz, aber mit Blick auf den See und einer Promenade, die sich perfekt für den Sonnenuntergang eignete. Wir blieben auf den Stufen am Ufer sitzen, bis die Lichter der Restaurants sich im Wasser spiegelten und jemand auf einer Gitarre „Volare“ spielte. Klischee? Vielleicht. Aber wunderschön.

Am zweiten Abend kochten wir Pasta am Wohnmobil, mit frischem Basilikum vom Markt, frischen Tomaten und etwas Parmesan, den wir in einer kleinen Alimentari entdeckt hatten. Dazu ein Glas Lugana aus der Region. Neben uns stand ein Pärchen aus Utrecht, mit einem umgebauten Kastenwagen. Die beiden waren auf „Workation“ – sie arbeiteten remote und waren seit Monaten unterwegs. Sie erzählten von Slowenien, vom Triglav-Nationalpark, von wilden Flüssen und geheimen Stellplätzen. „Soča-Tal – ihr müsst da hin“, sagte sie. Das zweite Mal Slowenien. Es wurde Zeit, das auf die Route zu nehmen. Wir machten uns Notizen in unserem Reisetagebuch – ein kleines Moleskine, das wir in jeder Pause hervorholten.

Ein kurzer Abstecher nach Verona war nicht geplant, aber spontan. Wir parkten am Stadtrand, nahmen die Räder und radelten in die Stadt. Arena, Gassen, der Balkon von Julia – touristisch, klar. Aber auch schön. Verona hatte eine Ruhe, die uns überraschte. Auf der Piazza delle Erbe sassen wir bei einem Espresso, beobachteten das bunte Treiben, liessen uns treiben. Und dann passierte etwas Unerwartetes: Simon begegnete zufällig seiner Ex-Freundin Lena. Sie war mit einer Freundin unterwegs, ebenfalls auf einem kurzen Italien-Trip. Sie blieben auf einen Spritz. Ich hielt mich zurück. Die Stimmung war vorsichtig, aber nicht unangenehm. Manchmal hat das Leben ein Timing, das man nicht planen kann.

Später, am Lagerfeuerplatz des Campingplatzes, meinte Simon nur: „Komisch, wie nah Vergangenheit plötzlich wieder wirkt, wenn man unterwegs ist.“ Er sagte es nicht mit Wehmut, eher mit einem stillen Staunen. Es war, als hätte diese zufällige Begegnung etwas sortiert. Nicht dramatisch. Nur menschlich.

Wir blieben eine Nacht länger. Führten Gespräche, gingen am Ufer spazieren, beobachteten ein Gewitter in der Ferne. Blitze zuckten über den See, aber es regnete nicht. Es war wie eine erste kleine Pause im Abenteuer. Ein kurzer Blick zurück, bevor es wieder weiterging.

Woche 2 – Smaragdflüsse, Cevapcici und neue Perspektiven
Slowenien empfing uns mit tiefgrünen Wäldern, kühlen Morgen und ruhigen Landstrassen. Schon die Einfahrt ins Land hatte etwas Beruhigendes. Weniger Verkehr, weniger Hektik. Alles wirkte entschleunigt. Unser erstes Ziel: Bled. Der berühmte See mit der kleinen Insel in der Mitte – kitschig? Vielleicht. Aber als wir am frühen Morgen mit Blick auf den Nebel über dem Wasser unser Frühstück kochten, war es einfach nur still und schön.

Wir mieteten ein kleines Ruderboot, fuhren zur Insel und läuteten die Glocke in der Kirche – ein alter Brauch für Wünsche. Simon wünschte sich „eine gute Weiterfahrt“. Ich sagte nichts. Ich hatte längst einen Wunsch, aber der war komplizierter. Vielleicht hatte er mit dieser Reise zu tun. Oder mit dem, was danach kommt.

Nach dem Mittag packten wir zusammen und fuhren weiter ins Soča-Tal. Eine der spektakulärsten Strecken Europas. Die Strasse schlängelte sich entlang des smaragdgrünen Flusses, vorbei an Hängebrücken, alten Bunkern aus dem Ersten Weltkrieg und Aussichtspunkten, an denen man einfach stehenbleiben musste. Es sah aus wie gemalt – fast zu perfekt, um real zu sein.

Wir fanden einen Naturstellplatz direkt am Fluss, ein bisschen versteckt, aber erlaubt. Glasklares Wasser, grillende Italiener auf der einen Seite, ein junges Pärchen mit Hund auf der anderen. Am ersten Abend tranken wir slowenisches Bier und liessen die Füsse im Wasser baumeln. Es war eiskalt. Aber befreiend.

Wir blieben drei Nächte. Wanderten zu den Wasserfällen bei Bovec, schwammen im eiskalten Fluss, sassen abends lange am Feuer. Einmal kam ein Fuchs bis an unseren Platz. Ich dachte, ich bilde es mir ein, aber Simon sah ihn auch. „Der weiss, wo die Würstchen sind“, meinte er grinsend. Es war ein bisschen wie in einem Kinderbuch – nur echter.

Die Tage im Soča-Tal vergingen langsam. Genau das war das Schöne daran. Morgens der Kaffee in der Hängematte. Mittags ein Sandwich mit Blick auf den Fluss. Abends Geschichten unter Sternen. Wir sprachen viel, aber oft auch gar nicht. Die Stille war kein Problem. Im Gegenteil – sie war ein Geschenk.

Weiter ging’s Richtung Kroatien. Die Hitze kam zurück. In Zadar parkten wir das Wohnmobil am Meer – offizieller Stellplatz mit Strom, Dusche, allem Drum und Dran. Die Altstadt: Kopfsteinpflaster, römische Mauern, Cafés mit Meerblick. Wir kamen am späten Nachmittag an, schnappten uns die Räder und fuhren einfach los – ohne Plan, nur mit Neugier.

Das eigentliche Highlight war das, was wir nicht geplant hatten. Ein Mann spielte leise Akkordeon, direkt neben der Meeresorgel, wo die Wellen durch Röhren in der Promenade Musik erzeugen. Wir standen lange da. Der Klang – eine Mischung aus Wind, Wasser und Melodie – war hypnotisch. Es fühlte sich fast an wie ein Soundtrack zu unserer Reise.

Am Abend probierten wir zum ersten Mal echte Cevapcici, direkt vom Grill eines kleinen Imbisswagens am Hafen. Dazu Ajvar und Fladenbrot. Einfach, ehrlich, perfekt. Wir sassen auf der Kaimauer, schauten den Booten zu und redeten über alles und nichts.

Zurück am Wohnmobil trafen wir ein belgisches Paar, das mit einem alten Mercedes-Van unterwegs war. Die beiden waren seit einem Jahr unterwegs – quer durch Osteuropa, den Balkan, sogar bis Georgien. Wir kochten zusammen Nudeln, tranken Wein und lauschten ihren Geschichten. „Ihr habt gerade erst angefangen“, sagte sie. „Hört nicht zu früh auf.“

Ein paar Tage später erreichten wir Budapest – gross, laut, lebendig. Ein Kontrast zu den ruhigen Tagen zuvor. Wir standen auf einem bewachten Stellplatz in der Nähe der Donau, machten eine Radtour vom Burgviertel über die Kettenbrücke bis zu den Ruinenbars im jüdischen Viertel. Die Stadt vibrierte. Überall Musik, Gespräche, Geschichte.

Abends gingen wir ins Széchenyi-Thermalbad. Heisses Wasser, Lichter, Dampf – fast surreal. Wir lagen lange im Wasser und sagten kaum etwas. Manchmal ist Erleben auch einfach nur stilles Annehmen.

Später in einer der Bars, zwischen Lichterketten und alten Sofas, lernten wir Elin kennen – eine allein reisende Norwegerin. Offen, klug, direkt. Simon und sie verstanden sich auf Anhieb. Ich sah es ihm an. Es war, als hätte er vergessen, wie leicht ein Gespräch sein kann, wenn der Moment stimmt. Sie redeten bis tief in die Nacht. Ich liess sie irgendwann allein und ging zurück zum Camper.

Am nächsten Morgen, beim Frühstück, sagte Simon leise: „Ich glaube, ich will sie wiedersehen.“
Ich nickte nur. Manche Entscheidungen brauchen keine Worte.

Woche 3 – Geschichte, Gespräche und der Wert der Zeit
Nach Ungarn ging es weiter in die Slowakei – genauer gesagt: Bratislava. Die Stadt liegt direkt an der Donau, klein genug, um sie zu Fuss zu erkunden, aber voller Geschichte. Unser Stellplatz lag am Flussufer, mit Blick auf das UFO – die futuristische Brücke, die wie ein Raumschiff über der Stadt thront.

Wir kamen am Nachmittag an, gönnten uns in einem Strassenlokal Bryndzové halušky – slowakische Nockerln mit Schafskäse – und liessen den Abend bei Sonnenuntergang am Fluss ausklingen. In Bratislava war es ruhig. Unaufgeregt. Entschleunigend. Genau das Richtige nach dem Trubel von Budapest.

Am nächsten Tag nahmen wir die Räder, fuhren durch die Altstadt, machten Halt bei einer alten Bäckerei und tranken Kaffee in einem versteckten Innenhof. Später stiegen wir auf die Burg von Bratislava, von der aus man einen weiten Blick über die Stadt und die Donau hat. Der Wind war warm, der Moment leicht.

Von dort aus ging es weiter nach Prag. Eine der Städte, von denen man meint, sie schon zu kennen – von Bildern, Filmen, Geschichten. Und doch ist es anders, wenn man wirklich dort ist. Wir schlenderten durch die Altstadt, über die Karlsbrücke, stiegen zur Prager Burg hinauf, liessen uns durch Cafés treiben. Wir besuchten die John-Lennon-Mauer, sassen eine Stunde einfach auf einer Parkbank und hörten einem Strassenmusiker zu, der „Wish You Were Here“ spielte.

An einem kleinen Markt entdeckte ich einen Stand mit alten Schwarzweissfotos. Ich blätterte durch die Kisten, fand ein Porträt aus den 50ern – ein junges Paar auf einem Balkon, irgendwo in der Stadt. Ich kaufte es für einen Euro. Keine Ahnung warum, aber irgendwas daran hat mich berührt.

Später an diesem Tag verlor ich mein Portemonnaie. Wir hatten gerade Trdelník gekauft, dieses süsse Gebäck mit Zimt und Zucker, als ich es bemerkte. Karten, Ausweis, alles weg. Ich rannte die Strecke zurück, fragte im Café, an den Ständen – nichts. Erst als wir schon aufgeben wollten, sprach uns eine ältere Dame an. „Suchen Sie das?“ Sie hielt es in der Hand. Jemand hatte es abgegeben. Mit allem drin. Vielleicht war es nur Glück. Vielleicht war es Europa.

Nach so viel Stadt brauchten wir wieder Natur. Unser nächstes Ziel: die Sächsische Schweiz in Deutschland. Wir hatten davon gehört – Sandsteinfelsen, tiefe Wälder, spektakuläre Aussichten. Der Weg dorthin war ruhig, hügelig, und je näher wir kamen, desto mehr veränderte sich die Landschaft. Die Häuser wurden ländlicher, die Strassen schmaler, der Empfang schlechter – und genau das war gut so.

Unser Campingplatz lag am Waldrand, mit Feuerstelle, Holzstämmen zum Sitzen und viel Platz. Wir blieben drei Nächte. Wanderten zur Basteibrücke, standen frühmorgens über dem Nebel, als die Sonne langsam die Felsen in warmes Licht tauchte. Es war still. Fast ehrfürchtig. Danach kochten wir Eintopf über offenem Feuer. Neben uns: eine Familie aus Dresden mit zwei Kindern, die mit einem alten Hymer unterwegs waren. Wir spielten Karten, tauschten Geschichten aus, halfen beim Reparieren ihres Wassertanks.

An einem Abend sassen wir alle ums Feuer. Der Vater erzählte, wie sie seit Jahren jeden Sommer im Wohnmobil verbringen. „Nicht, weil’s billiger ist“, sagte er. „Sondern weil man sich wieder auf das Wesentliche konzentriert.“ Das blieb hängen.

In der dritten Woche passierte etwas Interessantes: Wir redeten weniger über die nächsten Ziele. Und mehr über das, was war. Und das, was vielleicht kommt. Die Reise hatte uns langsamer gemacht. Und irgendwie auch aufmerksamer.

Woche 4 – Abschied auf Raten und der Blick zurück
Wir fuhren weiter nach München, wo Simon einen alten Studienkollegen besuchte. Ich nutzte die Zeit, um die Stadt allein zu entdecken. Ich spazierte durch Schwabing, sass im Englischen Garten, beobachtete spielende Hunde, las ein paar Seiten in einem Buch, das ich seit Wochen mit mir herumtrug und noch nie aufgeschlagen hatte. Ein älterer Herr setzte sich kurz neben mich, grüsste freundlich und fütterte die Enten mit kleinen Brotwürfeln. Nichts Grosses. Aber genau richtig.

Ich verbrachte ein paar Stunden einfach im Gehen. Ohne Ziel, ohne Eile. Ich lief durch den Hofgarten, sah Strassenkünstler vor der Residenz, kaufte mir eine Butterbrezel und stand minutenlang vor einem Strassenplakat, das den Spruch trug: „Manchmal reist man los, um sich selbst zu begegnen.“ Ich lachte leise. So abgedroschen es klang – irgendwas daran war gerade wahr.

Am Abend trafen wir uns im Biergarten an der Isar, mit Masskrug, Obazda und Musik. Alte Geschichten wurden erzählt, neue Ideen geboren. Es war laut, lebendig, aber auch ehrlich. Eines dieser Gespräche, die man mitnimmt. Die nicht geplant sind, aber trotzdem hängen bleiben. Simon erzählte von Elin. Ich von dem Foto aus Prag. Wir lachten, schwiegen, schauten in die Dämmerung.

Am nächsten Morgen liessen wir uns Zeit. Kein Wecker. Kein Plan. Nur Kaffee in der Sonne, ein Blick auf die Karte, ein Nicken. Weiter.

Der Weg führte uns über kleine Landstrassen, durch Hopfenfelder, Hügel, Wälder. Am frühen Nachmittag überquerten wir die Grenze nach Frankreich – das Ortsschild war das Einzige, das darauf hinwies. Plötzlich wurde alles leiser. Die Häuser schienen langsamer zu atmen. Die Farben weicher. Die Stimmung… gedämpfter. Fast wie ein natürlicher Übergang in die letzte Etappe der Reise.

Das Elsass empfing uns mit seinem ganz eigenen Zauber. Eguisheim – ein Ort wie aus einer Märchenkulisse. Fachwerkhäuser mit bunt bemalten Fensterläden, üppige Blumenbalkone, enge Gassen, die sich spiralförmig durchs Dorf winden. Wir parkten etwas ausserhalb, liefen ins Zentrum und setzten uns vor ein kleines Café. Ohne Handy. Ohne Uhr. Nur wir und die Welt da draussen.

Am Abend machten wir eine Weinprobe bei einem Familienbetrieb, den uns der Cafébesitzer empfohlen hatte. Der Vater machte Witze, die Mutter schenkte nach, die Tochter erklärte, welcher Riesling zu welchem Käse passt. Wir kauften drei Flaschen, obwohl wir nur eine wollten. Manche Begegnungen hinterlassen eben mehr als Geschmack.

Wir übernachteten zwischen den Reben. Kochen, essen, reden, schweigen. Am Morgen: Nebel über den Weinbergen, frisches Baguette vom Dorfbäcker, warme Luft mit dem Duft von Herbst. Und ein letzter Kaffee in der aufgehenden Sonne. Wir hatten kein Ziel mehr. Nur den Rückweg. Und genau das machte es so angenehm.

Der letzte Abschnitt führte uns zurück in die Schweiz. Die Landschaft wurde vertrauter, aber wir schauten sie mit anderen Augen an. Vielleicht, weil wir uns verändert hatten. Vielleicht, weil wir gelernt hatten, genauer hinzusehen.

Wir entschieden uns für eine Nacht am Walensee. Der Himmel war klar, die Luft kühl, aber angenehm. Wir parkten direkt am Ufer, machten ein kleines Lagerfeuer und sassen einfach da. Ohne grosse Worte. Einfach so. Die Berge spiegelten sich im Wasser, und als die ersten Sterne auftauchten, wurde alles still.

Keine Musik, keine Gespräche. Nur der See. Und dieses leise, warme Gefühl, dass alles genau richtig war.

Simon legte ein Stück Holz ins Feuer und sagte: „Ich glaube, ich war lange nicht mehr so leer im Kopf. Aber nicht leer im Sinne von leer. Sondern… frei.“ Ich verstand genau, was er meinte. Ich hätte es genauso gesagt. Aber ich liess es.

Später in der Nacht legten wir uns in unsere Schlafsäcke, mit offener Tür Richtung See. Ich sah die Milchstrasse. Ganz klar. Und ich dachte: Wenn das hier der letzte Abend dieser Reise ist, dann ist es genau der richtige.

Schlussfolgerung – Was bleibt, wenn man zurückkommt
Vier Wochen, zehn Länder, über 5.400 Kilometer. Diese Reise war mehr als nur ein Roadtrip. Sie war ein Stück gelebte Freiheit, ein Stück Europa, wie wir es nie aus dem Lehrbuch hätten lernen können.

Es waren nicht nur die grossen Highlights, sondern die kleinen Dinge: der Kaffee am Flussufer, das Lachen mit Fremden, das Gefühl, nichts zu müssen. Es war das Tempo, das wir selbst bestimmten. Die Freiheit, zu bleiben oder weiterzuziehen. Das Vertrauen in den Moment.

Wir lernten Orte kennen – und uns selbst ein Stück mehr. Wir sprachen mit Menschen, die wir nie wieder sehen werden, aber die uns trotzdem in Erinnerung bleiben. Wir haben improvisiert, umgeplant, manchmal einfach angehalten, nur weil das Licht gerade schön war. Und genau in diesen Momenten lag der wahre Wert dieser Reise.

Am Ende waren es nicht die Kilometer, die zählten. Nicht die Ländergrenzen oder die Sehenswürdigkeiten. Es war dieses seltene Gefühl, mit sich und der Welt im Einklang zu sein. Wenn der Kopf endlich leiser wird, weil das Aussen so viel zu erzählen hat.

Wir sind zurück – aber mit neuen Gedanken, mit mehr Ruhe, mehr Weite im Kopf. Vielleicht auch mit mehr Dankbarkeit. Für das Einfache. Für das Jetzt.

Und falls du jetzt denkst: „Das will ich auch erleben.“
Dann tu es. Nimm dir ein paar Wochen. Miete dir ein Wohnmobil. Fahr los. Lass Google Maps mal Pause machen und folge stattdessen deiner Intuition.

Die Strasse wartet schon. Und vielleicht – ganz vielleicht – auch eine Version von dir selbst, die du unterwegs entdecken wirst.

 

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